Theodor Billroth

„So bin ich eigentlich ein Musik- und Bühnenkind“ [1] – der Chirurg Theodor Billroth

 

Der Arbeitstag des Chirurgen Theodor Billroth (1829 – 1894) begann mit Geigeüben. Nach der Klinik besuchte er Konzerte und setzte sich anschließend an den Flügel, um zu komponieren oder schrieb Briefe. Die Musik war für den Sohn einer Sängerin und begabten Pianisten eine lebenslange Leidenschaft und die Grundlage für die Freundschaft zum Komponisten Johannes Brahms.

Berühmt geworden ist Billroth als Pionier der modernen Bauchchirurgie, insbesondere durch die erste erfolgreiche Magenresektion 1881, eine Operation, bei der Teile des Magens herausgenommen werden. Damit legte er den Grundstein für die Entwicklung der Magen-Darm-Chirurgie und etablierte die nach ihm benannten Verfahren "Billroth I" und "Billroth II", die bis heute in der Chirurgie Anwendung finden. Er experimentierte an Tieren zur Speiseröhre (1871), entfernte als erster einen Kehlkopf (1873) und prägte als Leiter der II. Chirurgischen Universitätsklinik in Wien über Jahrzehnte die Wiener Schule der Chirurgie.

Bis dorthin hatte der norddeutsche Protestant einen weiten Weg. Theodor Billroth war ein schlechter Schüler – der allerdings begnadet Klavier spielte – und lange Zeit nicht sehr erfolgreich als Arzt. 1860 bekam er eine Professur in Zürich und besserte sein Gehalt als Musikkritiker für die Neue Zürcher Zeitung auf. Er schrieb dort so schöne Sätze wie: „Die Herren [Blechbläser] möchten in ihrer schmetternden Freude bedenken, dass sie in einen Saal hineinblasen, in welchem sich Menschen mit Ohren befinden.“[2]

Billroth spielte als Bratscher oder Geiger im Quartett und nahm „belebenden Einfluss auf die damals recht dürftigen Musikverhältnisse dieser Stadt“,[3] wie der Kritiker und Professor für Musikästethik Eduard Hanslick schrieb. Gleichzeitig veröffentlicht er wichtige chirurgische Lehrbücher. 1867 folgte Billroth einem Ruf nach Wien, wo er schließlich ein stattliches Haus kaufte, in dem er mit seiner Frau, die ebenfalls Kind einer Sängerin war, Hauskonzerte in großem Stil gab. So entstand das Brahms Billroth Ensemble, das professionelle Musiker und Laien in verschiedenen Formationen miteinander verband. Manchmal mietete Billroth gar ein ganzes Orchester, um damals neue Kompositionen zu Gehör zu bringen.

In Wien lernte Billroth den vier Jahre jüngeren Komponisten Johannes Brahms (1833 – 1897) kennen. Schnell verband die beiden Norddeutschen eine enge Freundschaft. Brahms schätzte Billroths musikalische Expertise und legte ihm seine Kompositionen vor, bevor er sie veröffentlichen ließ. Der Briefwechsel der beiden musikalisch-medizinischen Schwergewichte zeigt eine innige Verbundenheit. Billroth schreibt an Brahms: „Deine liebe Sendung traf mich heute in sehr guter empfänglicher Stimmung. […] Es tut mir recht not, ich verkomme immer mehr in dem realistischen Elend und der Doktoriererei.“[4]

Dabei war Billroth ein hervorragender Arzt und penibler Wissenschaftler, der die Chirurgie evidenzbasiert und leidenschaftlich voranbrachte. Billroth rief mit dem Rudolfinerhaus eine private Schule für Krankenpflegerinnen ins Leben und verfasste eine medizindidaktische Schrift[5]  – zum einen als begeisterter Lehrer, aber auch als Stratege, der die Vormachtstellung der Deutschen in der Wissenschaft zementieren wollte.

Billroth kämpfte auch für eine begrenzte Zulassung „ostjüdischer“ Studenten zum Medizinstudium und sprach ihnen u.a. aufgrund ihrer mangelnden deutschen Sprachkenntnisse die Qualifikation zum Studium ab – obwohl er jüdische Schüler hatte, die er mit großem Enthusiasmus unterstützte und zu Spitzenpositionen verhalf. Im Rahmen der so genannten „Billroth-Affäre“ kam es zu antisemitischen Ausschreitungen unter den Wiener Studenten. Um die Wogen zu glätten, unterstützte Billroth später den Wiener „Verein zur Abwehr des Antisemitismus“ und wurde 1893 sein Ehrenmitglied. Über die historisch gewachsenen Ressentiments den Franzosen gegenüber sagte Billroth später: „Ich bin durch meinen Stand gezwungen, den Menschen ohne Unterschied der Raçe [!] [...] zu helfen. [...] Die Liebenswürdigkeit einiger Franzosen [lässt sich] mit dem Raçenhaß ganz gut vereinigen. Wozu hätte unser Hirn, unsere Religion und unsere Moral sonst so viele Windungen!“[6]

Unversöhnlich blieb Billroth nur mit seinen eigenen Leistungen – sowohl medizinisch als auch musikalisch. Weil er seinen hohen musikalischen Ansprüchen nicht zu genügen glaubte, verbrannte er fast alle seine Kompositionen. „Es war schreckliches Zeug! Und stank gräßlich beim Verbrennen!“[7]

Nach Billroths Tod 1894 veröffentlicht Eduard Hanslick dessen Buch „Wer ist musikalisch?“, in dem Billroth auf 266 Seiten Gedanken über den Zusammenhang von Musik, Psyche und Körper entwickelte.

Theodor Billroth verkörpert nicht nur eine exzellente, menschlich zugewandte und wissenschaftlich fundierte Medizin sowie musikalische Leidenschaft und Expertise; er suchte die Verbindung der beiden Welten.


[1] Billroth, Theodor, and Eduard Hanslick. "Wer ist musikalisch?: Nachgelassene Schrift/von Theodor Billroth; hrsg. von Eduard Hanslick." (1895).
 [2] Nagel, Martin, Karl-Ludwig Schober, and Günther Weiss. Theodor Billroth: Chirurg und Musiker. ConBrio Verlagsgesellschaft, 1994.
 [3] S.u. FN 1 (S. 2)
[4] Gottlieb-Billroth, Otto. "Billroth und Brahms im Briefwechsel." Urban & Schwarzenberg, Berlin (1935).
 [5] Th, Billroth. "Über das Lehren und Lernen der medicinischen Wissenschaften an den Universitäten der deutschen Nation." Carl Gerold's Sohn Wien, (1876).
 [6] Zitiert nach: „Furor teutonicus und Rassenhass“ Theodor Billroths universitätspolitischer Einfluss auf die Nationalisierung der Medizin. Online unter: https://geschichte.univie.ac.at/de/artikel/furor-teutonicus-und-rassenhass
[7] Siehe FN 5

Johannes Brahms

 

„Ich war allezeit ein Mensch fürs Kloster – es gibt nur nicht die passende Sorte “ – der Komponist Johannes Brahms

 

Johannes Brahms war nicht immer der berühmte dicke Mann mit weißem Rauschebart, der im Logo der Stiftung prangt. Als schüchterner, ja verschlossener und wortkarger Norddeutscher bezauberte er seine Mitmenschen nicht nur durch seine offensichtliche Begabung als Pianist und Komponist, sondern auch durch seine Hingabe zu Freunden, seine Empfindsamkeit und Lebhaftigkeit.

„Frei, aber einsam“ –das Motto des Geigers Joseph Joachim machte sich auch Brahms zu eigen. Die F-A-E-Sonate, die Brahms gemeinsam mit Robert Schumann und Albert Dietrich für den Freund Joachim komponierte, ist melancholisch und in Brahms´ Satz wild, mystisch und intensiv. Die Tonfolge, die das Lebensmotto verarbeitet, nutzte Brahms auch in einem Streichquartett und einem Quintett, die er beide Joachim widmete.

Verborgene Botschaften in der Musik, romantisch aufgeladene Klänge – Brahms Musik lebt von einer emotionalen Vielschichtigkeit. In einer Epoche des Umbruchs – zwischen Romantik und der aufkommenden Moderne – widersetzte sich Brahms allen Moden und arbeitete beharrlich an seiner Kunst. Er war ein Meister der Kontrapunktik und der Entwicklung musikalischer Ideen, Techniken, die er von Bach und Beethoven übernahm und in einen romantischen Kontext übertrug. Seine vier Symphonien, zahlreichen Kammermusikwerke und Klavierkompositionen zeugen von einer tiefen emotionalen Ausdruckskraft, gepaart mit technischer Brillanz und komplexen harmonischen Strukturen.

Brahms stammte aus einfachen Verhältnissen, galt aber bald als Wunderkind und gab bereits mit 14 erste Konzerte und komponierte erste Klavierstücke. Der Geiger Joseph Joachim und Robert und Clara Schumann förderten das junge Genie, das innig mit den Freunden verbunden war.

Entgegen früherer Einschätzungen wird Brahms heute auch als Wegbereiter der musikalischen Moderne gesehen. Seine Erforschung komplexer Harmonien und Rhythmen beeinflusste Komponisten wie Arnold Schönberg und ebnete den Weg für neue musikalische Ausdrucksformen. Wolfgang Rihm oder Hans Abrahamsen greifen Brahms raffinierte Verarbeitung musikalischer Motive auf, indem sie kleine musikalische Elemente kunstvoll variieren und ausarbeiten.

Brahms’ komplexe Harmonien und Rhythmen haben auch Jazz-Musiker inspiriert. Pianisten wie Brad Mehldau oder Keith Jarrett experimentieren mit harmonischen Wendungen, die an Brahms erinnern. Besonders seine späten Klavierstücke, wie die Intermezzi op. 118 und op. 119, mit ihren schwebenden Harmonien, beeinflussen moderne Harmonielehre und Improvisationsstile.

Innovativ waren schon seine Lieder, die häufig romantische Themen aufgriffen und anhand derer man Brahms Innovationskraft und seinen muskalischen Reifungsprozess ablesen kann.  1871 vollendete er das Schicksalslied, als „kleines Requiem“ das wohl vollkommenste seiner kleinen Chorwerke. Im gleichen Jahr siedelte der 38-jährige Brahms nach Wien 1871 über und  begegnete regelmäßig Theodor Billroth, dem brillianten Amateurmusiker und Musikkritiker. Die beiden Herren verband, dass sie als norddeutsche Protestanten in Wien eine Heimat gefunden hatten und akribisch arbeiteten. Die Briefe, die die beiden sich schrieben, sind berührende Dokumente einer heute kaum denkbaren Liebe und Hingabe an die Kunst und der Zuneigung zueinander.

So wie Billroth zuweilen glaubte, dass Brahms nur für ihn komponiere und niemand dessen Werke so verstünde wie er, so fühlte sich auch Brahms von Billroth verstanden. Brahms und Billroth verband auch ihre Neigung zur Melancholie. (Billroths Lied „Todessehnsucht“ ist die einzige Komposition, die er von sich überliefert wissen wollte.)

Trotz aller musikalischer Verbundenheit kühlte das Verhältnis der beiden schließlich ab. Erst waren es Missverständnisse, dann erfuhr Brahms durch eine Indiskretion von Hanslick, dass Billroth ihm persönliche Schwächen nachsagte, die er auf Brahms „verwahrloste Erziehung“ zurückführte. Bei einem Essen bei Billroth weigerte sich Brahms zunächst an den Flügel zu gehen – schließlich wurde er nie wieder eingeladen. Erst kurz vor dem Tod des Freundes kamen sich die beiden wieder näher – aber die alte Tiefe der Freundschaft erreichten sie nicht mehr.

Bereits 1878 hörte Brahms auf, sich rasieren zu lassen und verbarg seine feinen Züge hinter einem voluminösen Bart, der ihn älter erscheinen ließ, als er war. Brahms war schwer zugänglich, sensibel, verschlossen und bisweilen schroff. Dazu passte der Bart als Schutzschild.

Einsam, aber frei strebte Brahms nach Perfektion, indem er klassische Elemente mit neuen Ausdrucksformen verband, Motive befreundeter Komponisten aufnahm und weiterentwickelte. Seine Kompositionen sind voller subtiler Details, versteckter Zitate und raffinierter Verknüpfungen. Johannes Brahms verbindet Tradition und Moderne und verkörpert eine zutiefst menschliche Musik.